Sabbat: Leben im Gleichgewicht

Verregneter Start

Es ist ein regnerischer Tag im September. Nicht gerade das beste Wetter, um mein Praktikum auf einer Apfelplantage zu beginnen, aber hier sind wir nun und fahren durch die Landschaft Mecklenburg-Vorpommerns. Wir, das sind meine neue Chefin und ich. Sie zeigt mir die Apfelanlagen und erzählt mir ein wenig über die Geschichte dieses großen Anwesens (ich habe etwas mehr darüber in meinen Artikeln From Communist to Corporate und Havens of Biodiversity geschrieben). Und ich bin in der Tat glücklich, neben einer solchen Expertin zu sitzen, die mir meine vielen Fragen zum Apfelanbau beantworten kann, während wir so durch den Regen fahren. Da auch mein Großvater ein begeisterter Apfelgärtner ist, hatte ich schon früh eine Faszination für Äpfel. Doch während des Gesprächs wächst und wächst mein Interesse am Obstbau.

Meine Chefin erzählt mir von den Apfelernten des Vorjahres: im letzten Jahr war die Ernte so groß gewesen, dass sie zusätzliche Arbeiter einstellen mussten, um alle Äpfel ernten zu können. 3 800 Tonnen war der stolze Ertrag des letzten Jahres. Im Jahr zuvor hatte jedoch Frost die Plantagen während der Blütezeit heimgesucht. Da sie keine Beregnungsanlage hatten, um die Obstgärten vor dem Frost zu schützen, war ein Großteil der Ernte in diesem Jahr verloren gegangen. Um genau zu sein, belief sich die Ernte auf mickrige 550 Tonnen Äpfel. Das ist fast ein 7-facher Unterschied!

Eine üppige Ernte steht bevor! Foto von Naomi Bosch

Zwischen Verlust und Überfluss

Während ich in den folgenden Tagen durch die Apfelreihen gehe, erinnere ich mich an die Worte meiner Chefin. Die Bäume sind kaum mit Äpfeln behängt, einige Reihen sind fast vollständig leer. Nach einem Jahr reichlicher Ernte, scheint dieses Jahrs wieder ein sehr mageres zu sein. Dies ist zum Teil auf den Frost zurückzuführen, der die Apfelblüten im Frühjahr stark geschädigt hatte.  Aber was wir jetzt schon über die folgende Ernte sagen konnten, war, dass es wahrscheinlich wieder eine sehr reichliche sein würde. Auf ein Jahr mit Ertragsverlusten folgt in der Regel immer ein Jahr der Fülle.

Und die Erklärung meiner Chefin finde ich faszinierend. Wenn ein Apfelbaum von Frost heimgesucht wird und Ertragsverluste erleidet, kann der Baum dadurch ausruhen, so dass er im Folgejahr einen überdurchschnittlichen Ertrag erbringen kann. Auf eine Ruhephase folgt eine Periode der Fruchtbarkeit.

Das ist auch der Grund, warum Obstbäume im Winter oder Frühjahr beschnitt werden müssen. Der Baum kann nicht auf allen seinen Zweigen gleich viele Früchte produzieren, das würde seine Energie erschöpfen. Wenn du einen Obstbaum unbeschnitten lassen würdest, würde er viele, viele kleine Früchte produzieren. Aber wenn er beschnitten wird, kann der Baum seine Energie konzentrieren, um größere, nährreiche Früchte zu produzieren und letztlich mehr Ertrag zu bringen.

Die Prinzipien der Natur entdecken

Und dieses einfache Prinzip erweist sich in der Natur auch im weiteren Sinne als wahr. Ruhe ist notwendig. Die sterbenden Blätter im Herbst, das Zurückschneiden von Ästen, der einläutende Frieden des Winters, die Zeiten der Ruhe: all dies ist notwendig, um schließlich wieder zum Leben zu erwachen.

In der Landwirtschaft spiegelt sich dies im Prinzip der Brache wider. Wenn ein Feld brach liegt, baut der Landwirt ein ganzes Jahr lang keine Kultur an und pflügt nicht.

Denn er weiß, dass der Boden ruhen muss, um wieder reichlich Ertrag bringen zu können!

Die Erntereste der vorherigen Kulturpflanze haben dann Zeit, sich vollständig zu zersetzen. Regenwürmer und andere Mikroorganismen bearbeiten den Boden, um reichen, fruchtbaren Humus zu produzieren. Viele wichtige Prozesse finden im Boden in diesem Jahr statt, die schließlich seine Fruchtbarkeit erhöhen.

Eine mit Wildblumen und Gräsern bewachsene Brache. Foto von Naomi Bosch

Die Drei-Felder-Wirtschaft

Während des Mittelalters und der frühen Neuzeit praktizierten die Bauern in Europa die sogenannte Drei-Felder-Wirtschaft.

Sie teilten das Ackerland in drei Teile. Zwei wurden mit verschiedenen Kulturen bepflanzt, und eine wurde brach gelassen.  Auf dieser Brache konnten Tiere dann Unkräuter abgrasen. Die Exkremente der Tiere würden die Brachfläche zusätzlich düngen.  Die drei Felder wurden jedes Jahr rotiert, damit jedes Feld in einem von zwei Jahren ausruhen konnte. Und wie Thomas Noble in seinem Buch “Die Grundlagen der westlichen Zivilisation” schlussfolgert, hat das Dreifeldsystem damals den wirtschaftlichen Wohlstand deutlich gesteigert.

Aber wie wir heute wissen, hat es nicht nur für mehr wirtschaftlichen Wohlstand für arme Landwirte gesorgt, sondern war auch aus ökologischer Sicht gut. Das Ausruhen erhöht die Biomasse von Bodenlebewesen wie Regenwürmern, fördert die Bodenfruchtbarkeit und schafft einen Lebensraum für Unkraut und wilde Tiere.

Wir haben erst jetzt verstanden, was wir verloren haben, als wir aufgehört haben, die Brache in der Landwirtschaft zu praktizieren. Die ökologischen Folgen davon sehen wir bereits in unserem Verlust an biologischer Vielfalt und Bodenfruchtbarkeit.

Wissenschaftler haben kürzlich festgestellt, dass der Verlust von Bracheflächen eng mit dem Rückgang von Vogelpopulationen zusammenhängt!

In den letzten Jahren hat die Europäische Union begonnen, Landwirten, die einen Teil ihrer Flächen brach liegen lassen, eine Prämie zu zahlen (als Teil der sog. „Greening-Maßnahmen“).

Alte Weisheit

Aber das ist überhaupt keine neue Entdeckung! Schon vor dem Mittelalter fand sich die Weisheit der Ruhe und Brache in den alten jüdischen Schriften: der Tora. Hier wurde es Sabbat genannt.

Wir können es gleich zu Beginn der Tora finden. In der Geschichte, wie Gott die Welt erschaffen hat, sagt die Tora, dass der Schöpfer 6 Tage gearbeitet hat und sich dann am 7. Tag ausgeruht hat (um diesen Grundsatz zu verstehen und anzuwenden, ist die Frage, wie und in welchem Zeitraum genau Gott die Welt erschaffen hat, übrigens absolut irrelevant).

Gott verordnete den Menschen einen solchen Tag der Ruhe und des Genusses. Und darüber hinaus wies Er das Volk der Israeliten an, das Land alle 7 Jahre völlig ruhen zu lassen.

Wenn ihr in das Land kommt, das ich euch geben werde, müsst ihr dafür sorgen, dass das Land mir jedes siebte Jahr einen Sabbat feiert. Sechs Jahre sollt ihr eure Felder bestellen, eure Weinstöcke beschneiden und den Ertrag einsammeln. Aber jedes siebte Jahr muss das Land ruhen; es feiert einen Sabbat zu Ehren des HERRN. Ihr dürft in diesem Jahr kein Feld bestellen und keinen Weinberg pflegen. (1)

Der Segen

Und mit dieser Anweisung kam die Verheißung, dass das Land auch im Sabbatjahr genug produzieren würde, damit sie immer Essen in Fülle hätten. Angenommen, sie hätten sich gefragt:

“Was werden wir im siebten Jahr essen, wenn wir nicht säen und nicht ernten können?”

Gott versichert ihnen:

“Ich werde das Land im sechsten Jahr so reich segnen, dass der Ertrag für zwei Jahre ausreicht.” (2)

Die Sabbatordnung ist verbunden mit Segen für Mensch und Umwelt. Foto von Unsplash

Oh, wären wir nur diesen guten und göttlichen Anweisungen gefolgt! Viele unserer ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Probleme gäbe es heute nicht.

Und das zeigt sich nicht nur in der Landwirtschaft, sondern auch in unserem persönlichen Leben, wie du im nächsten Blogpost erfahren wirst!  

Dort möchte ich praktischer werden, was das Prinzip des Sabbats für uns heute bedeuten könnte. Wir werden überlegen, wie wir es für uns persönlich und in unserer Beziehung zur Umwelt ausleben können.

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Quellen:

Noble, Thomas (2002). The foundations of Western civilization. Chantilly, VA: Teaching Co. ISBN 978-1565856370 .

(1) Levitikus 25,1-4

(2) Levitikus 25,19-21

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