Was ist Gemeinschaftliches Leben?

Wir leben in Zeiten beispiellosen materiellen Wohlstands.

Aber gerade in westlichen Ländern leben wir auch in einer Welt, in der immer mehr Menschen einsam und allein leben.

Seit 1991 ist die Zahl der Einpersonenhaushalte in Deutschland um 46 % gestiegen. Unzählige zerbrochene Beziehungen und eine Scheidungsrate von fast 50 % in der EU tragen zu dieser Tragödie bei. Wir leben in einer Gesellschaft, in der persönliche Sicherheit und die Macht, unabhängig Entscheidungen zu treffen, mehr zählen als Gemeinschaft. Materieller Konsum, Emanzipation, Kapitalismus, Egoismus… all diese unbestreitbaren Trends haben ihren Tribut gefordert.

Depressionen, Angstzustände und Einsamkeit nehmen zu. Und Lockdowns haben uns in diesem Sinne auch keinen Gefallen getan… Laut einer Studie ist das Gefühl von Einsamkeit gefährlicher für die Gesundheit als Rauchen oder Bluthochdruck!

Der Preis für die Umwelt

Diese Trends sind auch für unsere Umwelt nicht gut. Nicht nur sind unsere Städte verschmutzt und überfüllt (jeder, der jemals bei Berufsverkehr in die Stadt fahren musste, wird mir zustimmen…). Die Bauindustrie ist auch für 8 % der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich – deutlich mehr als der globale Flugverkehr. Zudem wachsen viele Stadtkinder entfremdet von der Natur auf, ohne jegliches Verständnis von Natur und Landwirtschaft.

Seit langem bewegen wir uns von einem Lebensstil der Gemeinschaft und des Teilens weg, hin zu einem individualistischen Lebensstil, der sich um unsere vier Wände und unseren Besitz dreht.

Ist es nicht höchste Zeit für Veränderungen? Warum nicht einen anderen Weg hin zu einer einfacheren, nachhaltigeren und sinnvolleren Lebensweise wählen?

Zwei Geschichten von gemeinschaftlichem Leben

Auch das ist Teil der Vision von Plentiful Lands! Persönlich war ich schon lange fasziniert von der Idee des gemeinschaftlichen Lebens und Teilens. Und so freue ich mich immer, wenn ich von Leuten erfahre, die es bereits auf die eine oder andere Weise ausleben. Um herauszufinden, wie das in der Praxis aussehen könnte, habe ich zwei Familien, die gemeinschaftliches Leben ausprobiert haben, gebeten, ihre Erfahrungen zu teilen.

Es ist eine Freude, Tamara Boppart und Ruth Padilla DeBorst heute auf Plentiful Lands begrüßen zu dürfen!


Casa Adobe in Costa Rica

Ruth und ihr Ehemann gehören zu einer bewusst christlichen Gemeinschaft, Casa Adobe, in Costa Rica. Die Gemeinschaft lernt, was es bedeutet, als Akteure in Gottes guter Schöpfung zu leben, in der alle Lebensformen gedeihen können, indem sie miteinander Mahlzeiten teilt, Flüchtlinge umquartiert, in ihrer städtischen Umgebung gärtnert, sich in ihrer Kommune engagiert und Musikabende veranstaltet. Sie sagt,

„Wenn wir das vorherrschende Thema der heutigen Menschen auf der ganzen Welt betiteln müssten, wäre das ‚Globaler Konsumismus‘. Die Liebe zu Materiellem rechtfertigt es, Menschen im Namen der Produktion, des Fortschritts und der Aufrechterhaltung von Privilegien auszunutzen. Sie rechtfertigt auch die unersättliche Ausplünderung unseres Planeten ohne Rücksicht auf das fein ausbalancierte Netz des Lebens, auf seine schwächsten Mitglieder oder auf die Lebensbedingungen künftiger Generationen. Und sie frisst an unserer Seele und macht uns taub für die Schreie der Menschen, den Schrei der Erde, den Schrei des Geistes Gottes in uns.

Ein gerechtes Zusammenleben als Teil der lebendigen Gemeinschaft auf dieser Erde erfordert sowohl ein konzertiertes gegenkulturelles Handeln als auch eine Neugestaltung unserer Vorstellungskraft: nicht das eine ohne das andere. Wie wir auf Fragen wie „Wozu ist das Leben da?“, „Was ist das gute Leben?“, „Was und wer ist wertvoll?“ reagieren, bestimmt unser Handeln. Und unser engagiertes Handeln nährt die notwendigen Fragen.

Der Gemüsegarten von Casa Adobe
Der Gemüsegarten von Casa Adobe

Gemeinschaftliches Leben

In der Casa Adobe rüttelt gemeinsames Gebet unsere natürlichen Tendenzen auf, uns dem Status quo anzupassen und motiviert uns, Gebete in Taten umzusetzen. Die Reduzierung unseres CO2-Fußabdrucks durch die gemeinsame Nutzung von Haushaltsgeräten, die Einschränkung unseres Verbrauchs und die Vereinfachung unseres Lebens, die Gartenarbeit und das Organisieren einer gemeinschaftlichen Säuberungsaktion am Fluss – all diese Aktionen zwingen uns in demütiger Anerkennung unserer Grenzen auf die Knie.

Ich bin überzeugt, dass die Neugestaltung der Beziehungen zwischen uns Menschen untereinander und der Menschheit mit dem Rest der Schöpfung von uns erfordert, dass wir aus der individualistischen Matrix von Einzelhäusern und Privateigentum heraustreten. Weit davon entfernt, hier und da geringfügige Veränderungen vorzunehmen, erfordert der Zustand unseres Planeten eine radikale Neugestaltung und Verkörperung verschiedener Formen und Experimente des gemeinschaftlichen Lebens und Teilens.

Wagst du es mit mir dir vorzustellen, eine ganz neue Geschichte zu leben?“


Zwei Familien in der Schweiz

Tamara Boppart ist Texterin, Kreative und als Rednerin unterwegs. Sie arbeitet bei Central Arts, einer Bewegung von Kreativen in der Popkultur und in Kirchen. Zusammen mit einer anderen Familie lebt sie gemeinschaftlich unter einem Dach im Raum Zürich. Sie schreibt,

„Vor dem Hintergrund zunehmender Individualisierung und mit einem generellen Hang zum Unkonventionellen war für mich nach Baby Nummer zwei schnell klar, dass es Kleinfamilie und Einfamilienhaus mit Thujahecke nicht werden sollte. Zu normativ und eng. Aber wenn nicht so, wie wollen wir dann sonst wohnen?

In dieser Frage gingen mein Mann und ich pragmatisch vor. Wir schnappten uns die besten Freunde, die wir hatten, schrieben uns gemeinschaftliches Leben auf die Fahne, ohne zu wissen, was wir damit genau meinten und scrollten uns durch die Immobilienportale. Von alternativen Wohnformen und gemeinschaftlichem Leben träumen viele andere auch. Einfach mal damit beginnen, ist wohl noch immer der beste Ratgeber in Sachen Visionen umsetzen. Es führt kein Weg am ersten Schritt vorbei.

So zogen wir in ein Haus auf dem Land mit zwei Wohneinheiten. Geburten, Gartenpartys, Gäste, ein großer Esstisch und kreative Projekte haben das Leben unter unserem gemeinsamen Dach vermehrt. Nach vier Jahren wurde das Haus zu klein für all das und wir fragten uns erneut: Wie wollen wir wohnen? Unsere Träume waren riesig, das Budget eher nicht. Weil wir erstere nicht loslassen wollten, lernten wir Wände verputzen und Böden verlegen. Unter unserem Dach leben vier Erwachsene und acht Kinder. Zwei getrennte Wohneinheiten und Räume zur gemeinsamen Nutzung. Die beiden Wohnzimmer verbindet eine Durchgangstür.

Raum zum Leben & Teilen

Räume inspirieren mich. Und das nicht nur aufgrund von Ästhetik, sondern immer auch aufgrund von Möglichkeiten und der Geschichten, die darin erzählt werden könnten. Homeoffice, Musik machen, Gemüse anbauen, Gäste, Filme schauen, Bücher schreiben, sich verstecken, choreografieren, Feste feiern, gemeinsam essen, wachsen – da ist Platz für unser pralles Leben.

In der Schweiz lebt rund ein Drittel der Bevölkerung allein. Waren wir je so oft allein wie heute? Zeigt uns nicht gerade ein Jahr wie 2020, was passiert, wenn uns der soziale Kitt, die Bindekraft, die in unseren Begegnungen und unserem Miteinander steckt, abhandenkommt?

Dazugehören

Es liegt ein Schatz darin, seine Lebenswelt weder alleine genießen noch verantworten zu müssen, sondern zusammen mit Gleichgesinnten unterwegs zu sein. Miteinander zu tun haben und sich zutiefst zugehörig fühlen, gehört zu den urmenschlichsten Bedürfnissen. Wir suchen wohl alle einen Platz, an dem man sich verständlich machen kann, ohne viel zu sagen zu müssen. An dem man gesehen wird, ohne sich ständig bemerkbar machen zu müssen.

Auf dem Weg zu echtem Miteinander stolpern wir allerdings über unsere eigene Beziehungsbequemlichkeit. Warum bewusste Nähe und Verletzlichkeit wählen, wenn ich mich in der anonymen Distanz schützen kann? Warum mitwirken und seine Zeit verschenken, wenn ich sie für mich behalten könnte? Warum konfliktreiche Haushaltssysteme wählen, wenn’s auch ohne geht? Ja, nicht allein zu sein, hat einen Preis. Dass dieser mitunter sehr hoch ausfallen kann, weiß ich nach acht Jahren gemeinschaftlichen Lebens.

Und doch. Auf die Frage, wie ich wohnen will, habe ich eine Antwort gefunden: in Gemeinschaft. Das macht mein Leben und meinen Glauben um so vieles reicher, dichter und intensiver. Vier Wände und ich selbst sind mir zu wenig.“


Träumst du vom gemeinschaftlichen Wohnen? Was bedeutet Gemeinschaft für dich?

In anderen Ländern ist gemeinschaftliches Leben noch mehr oder weniger die Norm. Deshalb bin ich meinen internationalen Freunden zutiefst dankbar, dass sie mir immer wieder neue Horizonte eröffnen und mich mit ihren Geschichten inspirieren!

Teile gerne deine Geschichte mit uns – oder die Geschichten anderer Menschen, die dich inspirieren 🙂 .


Bilder von Unsplash; Porträts von den jeweiligen Autoren

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