Kaffee Im Melkstand
oder wie man einen angenehmen Arbeitstag verbringen kann
Da ich fast mein ganzes Leben lang in Kroatien gelebt habe, bin ich mit vielen kroatischen Traditionen und Bräuchen aufgewachsen. Eine davon ist unsere “Kaffeekultur“. Diese Tradition ist so tief in der kroatischen Gesellschaft verankert, dass sie fast jeden Aspekt des täglichen Lebens durchdringt.
Alles was man braucht ist Kaffee
Ein guter Tag beginnt mit einem selbstgebrauten türkischen Kaffee, typisch für alle Balkanländer. Das ist ein starker Kaffee, der in einem speziellen Topf genannt”Džezva” zubereitet wird. Der Kaffee wird folgendermaßen zubereitet: man rührt den gemahlenen Kaffee in der Džezva in heißes Wasser ein. Nach dem Kochen wird er zusammen mit dem Kaffeesatz in eine Tasse gegossen.
Den ganzen Tag über, ob morgens, mittags oder abends, trifft man sich in Cafés, um Kaffee zu trinken und stundenlang zu plaudern. Cafés gibt es an jeder Ecke in Kroatien. Auch wenn man keinen Kaffee trinkt, trifft man sich mit Leuten “zum Kaffee”, man lädt jemanden zum Kaffee zu sich nach Hause ein, und wenn man keine Zeit hat, sich mit Freunden auf einen Kaffee zu treffen, dann stimmt ernsthaft etwas nicht!
Es ist das ultimative Maß der Zeit in Kroatien und das Wort ist einfach allgegenwärtig in der kroatischen Sprache. Aber das Ausmaß dieses entspannten, kaffeebetonten Lebensstils habe ich erst so richtig begriffen, als ich zum ersten Mal auf einem Bauernhof in Kroatien gearbeitet habe.
Morgendliches Erwachen
Ich half ein paar Tage beim Melken auf dem Milchviehbetrieb meiner Freunde aus. Zusammen mit meiner lieben Freundin Nada gingen wir jeden Tag um 6 Uhr morgens und um 18 Uhr abends Melken. Nada und ich teilten uns in dieser Zeit ein Gästezimmer.
Da es Winter war, war es draußen stockdunkel, wenn wir morgens aufstanden. Ich hatte meinen Wecker auf 5:45 Uhr am ersten Morgen gestellt. Aber plötzlich, kurz bevor mein Wecker klingeln sollte, wachte ich auf und hörte jemanden meinen Namen rufen.
Verwirrt und erschrocken versuchte ich, meine Augen zu öffnen, was sich als nicht einfach erwies, so verschlafen wie ich noch war. “Wer ruft mich bloß mitten in der Nacht?!”, dachte ich mir und warf einen Blick auf Nada, die an meinem Bettende stand. Ich hörte ich sie mich fragen, ob ich auch einen Kaffee möchte, während sie ihre eigene Tasse schon in den Händen hielt. Ich schaffte es, etwas wie ein Ja herauszubekommen, und Nada ging nach unten in die Küche. Es dauerte noch einige Sekunden, bis ich dann tatsächlich wach war. Schnell stand ich auf, zog mich an und ging ebenfalls in die Küche.
Dort wartete Nada bereits mit einer Tasse frisch gebrühten türkischen Kaffees und einem freundlichen Lächeln auf mich. Wir setzten uns hin und genossen unseren Kaffee und den Moment der Ruhe, bevor unsere harte Arbeit beginnen würde. Nada betete für den Tag und dann gingen wir in den Melkstand. Der Tag konnte beginnen!
Wie man einen angenehmen Arbeitstag verbringen kann
Bei einer anderen Gelegenheit, im September 2018, arbeitete ich wieder einige Tage auf einem anderen Milchviehbetrieb. Der Betrieb war für kroatische Verhältnisse relativ groß, mit etwa 60 Kühen.
Auf dem Betrieb befand sich auch eine kleine Käserei und ein Hofladen. Ich arbeitete hauptsächlich in der Käserei, zusammen mit zwei bis drei anderen Mitarbeiterinnen.
Der Arbeitstag begann um 6 Uhr morgens auf eine sehr angenehme Art und Weise: eine meiner Mitarbeiterinnen bereitete einen großen Topf Kaffee für alle vor. Sie stellte die Kanne auf einen Tisch auf der Terrasse, zusammen mit einem Haufen Tassen für alle, die noch dazukommen würden.
Und ganz “zufällig” kamen fast alle, die auf dem Hof arbeiteten, einschließlich des Chefs, gerade rechtzeitig zum Kaffee vorbei. Wir unterhielten uns eine Weile, dann seufzten alle beim Blick auf die zu erledigende Arbeit. Nachdem alle ein oder zwei Zigaretten fertig geraucht hatten, nahmen wir unsere Arbeit wieder auf (wobei ich persönlich nicht rauche).
Nichts geht über eine Kaffeepause
Gegen 9 Uhr morgens war es Zeit für eine zweite Kaffee- und Rauchpause. Der Tierarzt, der gekommen war, um nach einem kranken Kalb zu sehen, wollte gerade wieder zu seinem Auto gehen, als wir auch ihn zum Kaffee einluden. Wir unterhielten uns eine Weile und gingen dann wieder an die Arbeit.
Dann, gegen 11:30 Uhr war es endlich Zeit für das Mittagessen. Die Chefin hatte ein gutes Essen für alle Arbeiter vorbereitet. Nach dem Mittagessen versammelten sich alle wieder auf der Terrasse zu einer Nachmittagspause mit Kaffee und Zigaretten. Nachdem wir uns eine Weile unterhalten hatten und jeder einen Blick auf sein Handy geworfen hatte ging jeder wieder mit einem Seufzer an seinen Arbeitsplatz und freute sich schon auf die 13 Uhr-Pause, wenn die nächste Schicht der Arbeiter eintreffen würde.
Um viertel vor 13 Uhr ging eine Mitarbeiterin in die Küche nebenan, um Kaffee für die nächste Schicht vorzubereiten. Wir versammelten uns zu einer kurzen Begrüßung. Nach einer Zigarette und einem Kaffee arbeiteten wir bis 14 Uhr weiter, als die Frühschicht dann endlich zu Ende ging.
Hätte ich überrascht sein sollen, als ich meine Kollegen nach der Arbeit noch auf eine letzte Zigarette und einen Kaffee am Tisch sitzen sah, bevor es endgültig nach Hause ging? “Acht Stunden” Arbeit waren erledigt… 😉
Kaffee im Melkstand
Das Melken wurde zweimal am Tag von einer Dorffrau namens Marija durchgeführt. Eines Tages half ich ihr beim Melken. Die Ankunft auf der Arbeit war kurz vor 5:30 Uhr. Nachdem ich durch das stille Dorf zum Hof gelaufen war, begrüßte mich Marija mit einem verschlafenen Nicken. Sie saß bereits auf der Terrasse mit ihrem Morgenkaffee und zeigte auf die Tasse, die sie für mich vorbereitet hatte. Ich bedankte mich mit einem Lächeln, goss etwas Milch in meine Tasse und nahm einen Schluck davon. Trotzdem fragte ich mich, wann wir mit dem Melken beginnen würden, denn es waren ja nur noch drei Minuten bis wir mit dem Melken beginnen sollten. Und Kaffeetrinken ist in Kroatien normalerweise alles andere als eine schnelle Angelegenheit…
Aber Marija stand schon vom Stuhl auf, die Tasse in der Hand, und ging zum Melkstand. Während ich mir meine Arbeitskleidung überzog, verstand ich amüsiert, dass wir unseren Kaffee im Melkstand weitertrinken würden!
Wo die Kühe beim Namen gerufen werden
Und das machten wir dann auch, während Ema, Tina, Milka und Luna bereits den Melkstand betraten. Wir stellten unsere Tassen an einem sicheren Ort auf und nahmen ab und zu einen Schluck davon. Marija begann erfahrenen, schnellen Handbewegungen zu melken. Dann ließ sie die erste Gruppe Kühe aus dem Melkstand raus und ließ Dora, Ina, Maja und Sandra eintreten, wobei sie jede Kuh mit ihrem eigenen Namen rief.
“Wenn Du uns das nächste Mal besuchst, wirst Du sicher eine Kuh finden, die nach Dir benannt ist”, sagte Marija. “Der Chefin hat dein Name sehr gefallen…”, lachte sie. Amüsiert darüber versprach ich mir, dass ich den Betrieb eines Tages wieder besuchen würde.
Ich freue mich schon darauf, Naomi zu treffen und noch eine Tasse Kaffee im Melkstand zu genießen!
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