Warum Alte Apfelsorten So Gut Für Uns Sind

die vergessenen Apfelsorten… und ihre Zukunft!


Dieser Artikel wird auch in Februar-Ausgabe der Zeitschrift Landraces veröffentlicht.


Hast du schon einmal einen Apfel gegessen und gedacht, wie fad und langweilig er schmeckt? Oder dass alle Äpfel aus dem Supermarkt irgendwie gleich aussehen, riechen und schmecken? Möglicherweise hast du noch nie genauer darüber nachgedacht, welche Apfelsorte du eigentlich gerade einkaufst oder isst. Nach dem Lesen wirst du vielleicht überrascht sein, wie vielfältig diese kleinen Früchte sind! Reinette, Gold Pearmain, Berlepsch und Cox Orange sind keine exotischen Haustiernamen. Das sind Apfelsorten, die in letzter Zeit irgendwie in Vergessenheit geraten sind…

In diesem Artikel möchte ich die Geschichte des Apfels und seines langen Weges nach Europa erzählen. Ich schreibe etwas über seine turbulente Vergangenheit – die Veränderungen im Geschmack und Nährwert. Ich möchte dann einen Ausblick geben auf einige neuere Entwicklungen in der Apfelzüchtung. Und zum Schluss habe ich ein paar Ideen zusammengestellt, wie auch du unsere unglaubliche Apfelvielfalt genießen und schützen kannst.

Jede Apfelsorte ist einzigartig in Geschmack, Form, Geruch und Farbe.
Fotos von Naomi Bosch

Eine kurze Geschichte des Apfels

Man vermutet, dass der Apfel die berühmte “verbotene Frucht” des Gartens Eden war. Deshalb sieht man ihn auch häufig auf Gemälden, die den Bericht von Adam und Eva aus der Bibel darstellen. Botanisch gesehen gehören Äpfel zur Familie der Rosacea, genau wie Rosen, Birnen, Kirschen und Erdbeeren.

Malus domestica, lateinisch für den domestizierten Apfel, hat mehrere in der Natur vorkommende wilde Verwandte, wie Malus pumila oder Malus communis. Pflanzenwissenschaftler sind der Ansicht, dass der Vorfahre aller Äpfel, die wir heute essen, Malus sieversii, ursprünglich aus Zentralasien kommt. Dort entwickelte er sich mehrere Millionen Jahre lang in seiner Heimat in den Bergen, bevor er sich in andere Teile der Welt ausbreitete. Die Geschichte des Apfelanbaus reicht vermutlich 6000 Jahre zurück, als Händler den Apfel von Zentralasien nach Europa brachten. (1)

Heute ist der Apfel aufgrund seiner Verbreitung, seines erschwinglichen Preises und seines Geschmacks die am häufigsten gegessene Frucht der Welt. (2)

Es gibt mehr als 70 000 Apfelsorten, und über 20 000 davon werden aktiv angebaut! Wenn du also schon einmal etwas anderes als Pink Lady, Gala oder Elstar probiert hast, hast du vielleicht einen Blick auf die explodierende Vielfalt der Äpfel erwischt. Während unsere modernen Apfelsorten üblicherweise recht groß, rot, süß und von runder Form sind, sehen ihre wilden Verwandten ganz anders aus. Manchmal findet man sie in Wäldern, wo sie winzige, grüne und extrem saure Früchte tragen.

Henry David Thoreau, ein amerikanischer Dichter und Naturforscher, bestand darauf, dass er den Wildapfel (“von lebhaftem Geschmack”) den kultivierten Sorten vorzog. Aber selbst er gab zu, dass der gelegentliche Biss “sauer genug war, um (…) einen Eichelhäher zum Schreien zu bringen”. (3)

Ich habe diese wild wachsende Apfelsorte in einem Wald gefunden. Beachten Sie, wie winzig diese Früchte sind.
Foto von Naomi Bosch

Von sauer bis süß – warum die Säure wichtig ist

Warum ist der Wildapfel von Natur aus so sauer? Die Antwort liegt in der chemischen Zusammensetzung von Äpfeln. Die für die Säure verantwortlichen Inhaltsstoffe sind Apfelsäure, Phosphorsäure und Ascorbinsäure. Auch unsere kultivierten Apfelsorten sind unangenehmen sauer, wenn sie noch nicht voll ausgereift sind. Während des Reifeprozesses nimmt der Säuregehalt stetig ab, während die Süße der Früchte zunimmt. Die Säure im Apfel soll verhindern, dass er von Wildtieren gefressen wird, bevor seine Samen reif sind. (4)

Während des Reifung der Früchte bestimmt das Verhältnis zwischen Säuren und Zucker den Erntetermin. Aber auch zum Zeitpunkt der Ernte enthalten Äpfel noch eine gewisse Menge an Säure. Diesmal hat die Säure eine andere Aufgabe. Die Säuren sind für die Konservierung der Früchte während der Lagerung und des Transports verantwortlich. Vor allem zu der Zeit, als es noch keine Kühl- und Lagermöglichkeiten wie heute gab, war die Lagerqualität der Äpfel extrem wichtig. Vor allem wenn man bedenkt, dass es zu dieser Zeit noch nicht die Vielfalt an Südfrüchten im Winter gab, wie wir sie heute aus dem Supermarkt kennen. In der heutigen globalisierten Welt ist es wichtiger, dass sich die Früchte gut transportieren lassen. Dass Säure haltbar macht kennt man ja auch von vielen anderen Lebensmitteln, wie zum Beispiel vom Sauerkraut.

Warum sind die heutigen Äpfel süßer?

Obwohl die Apfelsorten der Vergangenheit natürlich nie so sauer waren wie der Wildapfel, enthielten sie dennoch eine gesunde Menge an Säure, um gut lagerbar zu sein. Somit sicherten sich die Menschen auch vor den Zeiten von Kühlschränken und Lagerhallen frische und gesunde Früchte für den Winter.

Während die Süße einer Frucht unseren Vorfahren dessen Essbarkeit signalisierte, haben wir in jüngster Zeit eine übertriebene Neigung zu Süßem entwickelt. Dazu trug auch das Aufkommen billiger Technologien zum Anbau und zur Herstellung von Zucker im 20. Jahrhundert bei. Und so kam es in der westlichen Gesellschaft dazu, dass sich der Geschmack für Süßes veränderte. Diese Entwicklungen forderte natürlich auch nach süßeren Äpfeln.

Da Pflanzenzüchter solche Sorten züchten, die von der Bevölkerung gegessen und akzeptiert werden, sind unsere Supermärkte nun voll von zuckrig schmeckenden Apfelsorten, die viel von ihrem früheren Aroma verloren haben.

Doch mit diesem Verlust an Geschmacksvielfalt geht auch ein Verlust an wertvollen, gesunden Inhaltsstoffen einher. Zu diesen verlorenen Inhaltsstoffen gehört auch die oben erwähnte Ascorbinsäure. Sie wird auch als Vitamin C bezeichnet – ein für den Menschen essentieller Nährstoff, der u.a. zur Aufrechterhaltung des Immunsystems beiträgt, als Antioxidans wirkt und an der Reparatur von Gewebe beteiligt ist. Ältere Apfelsorten enthalten generell mehr Vitamin C als unsere modernen Sorten. (5)

Moderne Apfelsorten kompensieren ihre schlechte Lagereignung oft durch eine dickere Schale. Foto von Pexels

Multi-Talent Flavonoid

Ein weiterer Inhaltsstoff, der unseren modernen Apfelsorten verloren gegangen ist, sind Flavonoide.

Für den Menschen haben Flavonoide entzündungshemmende und antibakterielle Wirkungen und verringern das Risiko für Krebs (6) und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. (7)

In Pflanzen haben Flavonoide die Aufgabe, die Pflanzen vor Stress wie Trockenheit, Frost und UV-Licht zu schützen, und sind für die Farbe und das Aroma vieler Früchte verantwortlich. (8)

Andererseits bewirken Flavonoide auch, dass sich Äpfel nach dem Schneiden (beim Kontakt mit Sauerstoff) braun verfärben. (9) Braune Äpfel, das ist kein besonders schöner Anblick, oder? Da brauner Apfelsaft zum Beispiel nicht ganz so gut zu verkaufen wäre und von den Verbrauchern weniger akzeptiert wäre, haben Pflanzenzüchter Apfelsorten mit einem geringeren Flavonoidgehalt gezüchtet. Doch das geht unweigerlich mit einem Verlust an gesundheitsfördernden Eigenschaften unserer Äpfel einher.

Ein Perspektivwechsel

Pflanzenzüchter sind ständig wechselnden, teilweise widersprüchlichen Interessen ausgesetzt. Ein höherer Nährwert der Pflanzen und Früchte, oder ein höherer Ertrag? Gute Lager- und Transportfähigkeit oder ansprechende Süße und Farbe der Früchte?

Man muss bedenken, dass die Züchtung neuer Sorten ein kostspieliges Unterfangen ist. Der gesamte Prozess bis zur Markteinführung einer neuen Sorte dauert 10-15 Jahre und ist mit vielen Unsicherheiten verbunden. Letztendlich müssen die produzierten Sorten von der breiten Öffentlichkeit und von den Bauern akzeptiert werden.

Aus der Sicht des Landwirts, der eine Apfelplantage anlegt, muss er sicherstellen, dass seine Äpfel während der gesamten 20-30 Jahre, in denen seine Bäume Früchte tragen, verkauft werden können und die Wirtschaftlichkeit des Betriebes aufrecht erhalten wird.

Bei seiner Entscheidung, welche Sorten er für seine Plantage wählt, muss er viele Faktoren berücksichtigen: die Widerstandsfähigkeit der Bäume gegen Schädlinge, ihren Ertrag, ihre Leistung unter Belastungen wie Trockenheit oder Frost, den Zeitpunkt der Ernte, die Qualität der Früchte (ob für die Saftindustrie, für Babynahrung oder als Tafelwawre) und letztendlich die Akzeptanz von Seiten der Verbraucher. Zum Beispiel haben ältere Apfelsorten oft nicht eine erwünschte Standardgröße (sie sind zu klein, zu groß…). Was nützen Äpfel, die am Ende niemand kaufen will?

Geschmäcker, Düfte und Biodiversität

Dies sind einige Gründe, die dazu führten, dass alte Apfelsorten vom Markt verdrängt wurden. Die modernen Sorten, die sie ersetzt haben, können dafür leider weniger im Geschmack und Nährstoffgehalt punkten.

Damit einher geht, dass viele alte, lokal angepasste Sorten nicht nur aus den Regalen unserer Supermärkte, sondern auch aus unserer Landschaft verschwunden sind. Diese sich verengende Vielfalt beraubt uns einzigartiger Aromen und außergewöhnlicher Schönheit, die in einigen dieser Schätze verborgen sind! Weißt du noch, wie alte Apfelsorten wie z.B. Reinette, Winterglockenapfel, Berlepsch und Cox Orange schmecken, aussehen und riechen?

Die Biodiversität (d.h. die genetische Vielfalt der angebauten Pflanzensorten) ist für die Züchtung aber auch im Allgemeinen wichtig. Denn, die Grundlage für jede Züchtung ist und bleibt die natürlich vorkommende Arten- und Sortenvielfalt. Pflanzenzüchter der Zukunft werden Sorten züchten wollen, die robust und resistent gegen Pflanzenkrankheiten sind (wie viele ältere Sorten es noch sind!), die gut an ihre lokale Umgebung sowie an ein sich veränderndes Klima angepasst sind. Dazu müssen sie die bestehende genetische Vielfalt nutzen.

Von den vorhandenen 20 000 Apfelsorten decken nur 4 Sorten 70% des europäischen Marktes ab! (10) Und die meisten modernen Apfelsorten haben ihre genetische Abstammung in nur drei Sorten (Golden Delicious, Cox Orange und Jonathan).

Diese Verlust der genetischen Vielfalt ist ein tiefgreifendes Problem!

Um etwas dagegen zu tun, müssen wir sowohl in die Vergangenheit als auch in die Zukunft schauen. Entdecke alte Apfelsorten wieder, und du wirst erkennen, dass sie auch für die Züchtung der Zukunft notwendig sind. Erst kürzlich hat Nature (eine der bekanntesten wissenschaftlichen Zeitschriften) eine interessante Arbeit zu diesem Thema veröffentlicht. Darin wird die Rolle von Malus sieversii, dem Vorfahren unserer heimischen Äpfel, bei der Züchtung von Apfelsorten mit einem höheren Flavonoid-Gehalt diskutiert. (11) Auch das Landwirtschaftsministerium der australischen Regierung führt derzeit wieder die Forschung zur Züchtung flavonoidreicher Äpfel an. (12)

Die Erkundung des lokalen Bauernmarktes könnte zu überraschenden Begegnungen mit Apfelaromen führen. Foto von Erik Scheel von Pexels

Dein Teil

Aber was kann ich tun? Hier sind nur einige Ideen.

  • Besuche den Wochenmarkt in deiner Umgebung und probiere einige Apfelsorten aus, die du noch nie probiert hast (oder von denen du nicht einmal wusstest, dass es sie gibt).
  • Beachte: vielleicht musst du dich erst an die neuen, ungewohnten Geschmacksrichtungen gewöhnen, die dir begegnen werden. Probiere dich durch, bis du “deine” Sorte gefunden hast! Der Reichtum der verschiedenen Geschmäcker und die herrliche Apfelvielfalt wird dich nicht enttäuschen!
  • Frage deinen lokalen Landwirt, welche Apfelsorten er anbaut und was das Besondere an ihnen ist. Schau dir die Hofläden und Obstbetriebe deiner Umgebung selber mal an!
  • Besuche Verbände, die sich der Erhaltung alter, lokaler Sorten verschrieben haben.
  • Und, falls du selber einen Garten hast, folgen dem Rat von Martin Luther, der einmal gesagt haben soll:

” Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen “


Sources:

(1) https://nmfruitgrowers.wordpress.com/2015/11/01/the-origins-of-the-apple/
(2) https://applesfromeurope.eu/apples/history-of-cultivation
(3) https://www.nationalgeographic.com/people-and-culture/food/the-plate/2014/07/22/history-of-apples/
(4) Chemie Oberstufe – Organische Chemie. 1. Auflage, Cornelsen-Verlag, Berlin 2010, ISBN 978-3-06-011177-0 
(5) https://www.ph-heidelberg.de/fileadmin/ms-faecher/biologie/dokumente/apfel2016.pdf
(6) González CA et al. (2012). Dietary flavonoid and lignan intake and gastric adenocarcinoma risk in the European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition (EPIC) study. American Journal of Clinical Nutrition. 96 (6): 1398–1408
(7) Higdon, J; Drake, V; Frei, B (March 2009). Non-Antioxidant Roles for Dietary Flavonoids: Reviewing the relevance to cancer and cardiovascular diseases. Nutraceuticals World. Rodman Media.
(8) Samanta, Das et al. Roles of flavonoids in Plants. International Journal of pharmaceutical science and technology 6 (2011)
(9) https://www.tagesspiegel.de/wissen/aha-warum-werden-angeschnittene-aepfel-braun/1164738.html
(10) https://www.vitamine.com/lebensmittel/apfel/
(11) Wang, N., Jiang, S., Zhang, Z. et al.Malus sieversii: the origin, flavonoid synthesis mechanism, and breeding of red-skinned and red-fleshed apples. Hortic Res5, 70 (2018) doi:10.1038/s41438-018-0084-4 
(12) https://www.agric.wa.gov.au/pome-fruit/apples-and-flavonoids

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