Urban Gardening – Die Revolution Unserer Ernährung
die Zukunft unseres Ernährungssystems?
Woher kommen deine Lebensmittel? Wenn du wie ich in der Stadt lebst, bist du wahrscheinlich auf Landwirte aus nah oder fern angewiesen, die deine Nahrung anbauen. Aber hast du jemals darüber nachgedacht, was passieren würde, wenn die Nahrungsmittelkette plötzlich zusammenbräche? Wenn, zum Beispiel, eine Naturkatastrophe eintreten würde oder der Transport von Lebensmitteln für einige Zeit nicht möglich wäre? Selbst mit dem aktuellen Ausbruch des Corona-Virus sind einige Menschen mit der Angst vor Nahrungsmittelknappheit konfrontiert. Sind wir als Stadtbewohner auch in Krisenzeiten in der Lage, uns selbst zu versorgen? Es kann beängstigend sein, darüber nachzudenken. Aber es muss nicht so sein! Selbst wenn wir keine eigenen Gärten haben, gibt es eine Reihe von Möglichkeiten, in unseren Städten Nahrungsmittel selber anzubauen! Dieses Konzept wird als Urban Gardening oder Urbane Landwirtschaft bezeichnet. Und es hat eine überraschend lange und interessante Geschichte… Könnte Urban Gardening, gemeinsam mit Solidarischer Landwirtschaft, die nächste Revolution unserer Ernährung sein?
Wo meine inspirierende Reise begann…
Malmö ist die drittgrößte Stadt Schwedens und ein recht lebhafter Ort zum Erkunden, Wohnen und Arbeiten. Von modernen Bibliotheken bis hin zu extravaganten Kunstgalerien, von ausgezeichneten Radwegen, schönen Cafés und Restaurants: hier gibt es etwas für jeden Geschmack. Zu meiner großen Freude ist Malmö auch eine recht grüne Stadt. Viele Parks, Rasenflächen und Gärten bieten Platz zum Sitzen und Lesen, zum Plaudern oder einfach zum Entspannen in der Natur.
Mitten im Herzen der Stadt, auf der Festungsinsel hinter dem Schloss von Malmö, entdeckte ich eine lebendige Oase des Lebens: den Slottsträdgården. Dies ist ein städtisches Gartenprojekt (eine Form des Urban Gardening), das 1997 von einem Verein namens “The Friend’s Association” gegründet wurde. Es arbeitet ausschließlich nach ökologischen Prinzipien.
Grüne Stadt
Hier können die Mitglieder einen der 60 Kleingärten von ca. 6-8 qm mieten. Ein Teil der Fläche ist ausschließlich als Schulgarten für die Schulkinder von Malmö vorgesehen.
Neben den Kleingartenanlagen umfasst der Slottsträdgården verschiedene pädagogische Kleingärten, wie z.B. einen Garten mit mehrjährigen Pflanzen, einen Garten mit Pflanzen, die an trockenes Klima angepasst sind, und einen mit Pflanzen, die mit dem Klimawandel für die Nahrungsmittelproduktion relevanter werden könnten.
Kleine Pfade führen zu den Kleingärten und bieten Gelegenheit zum Erkunden, Bewundern der üppigen Pflanzen und zum Fotografieren. Darüber hinaus ist der Garten ein Zufluchtsort für Insekten, Vögel und Schmetterlinge. Die Luft vibriert geradezu mit diesen kleinen, fliegenden Kreaturen. Dieser Ort ist eine wahre Oase inmitten dieser geschäftigen Stadt.
Aber, als ob es nicht besser werden könnte, betreibt der Verein auch ein schönes Café. Genauer gesagt besteht es aus einer sonnigen Terrasse und Tischen in einem abgelegenen Gewächshaus, das mit bunten Kissen, einer Weinrebe und anderen Pflanzen, die von der Decke hängen, wunderschön dekoriert ist. Als entspannter Ausklang eines anstrengenden Arbeitstages oder als Startpunkt für einen Stadtrundgang ist dies der perfekte Ort, um Kaffee zu trinken und frisch gebackenen Kuchen zu genießen.
… und wo es mich hingeführt hat
Für die Einwohner von Malmö sind diese städtischen Kleingärten eine Quelle für selbst angebautes Obst und Gemüse und ein Ort der Erholung und Entspannung. Für Touristen könnte dieses Projekt eine Quelle der Inspiration sein, die sie in ihre Heimatstädte mitbringen können.
Urban Gardening ist in den letzten Jahren in der Tat ein sehr populärer Trend unter Stadtbewohnern. Sottsträdgården hat zwar über 20 Jahre Erfahrung im Urban Gardening, aber dieses Konzept ist eigentlich alles andere als neu.
Stadtgärtnerei in der Vergangenheit
Unmittelbar nach der Gründung der ersten Städte begannen die Menschen, frische Lebensmittel dort anzubauen, wo es der Platz erlaubte. In Zeiten, in denen Lagerungsmöglichkeiten noch nicht so fortgeschritten waren wie heute, war dies sogar eine Notwendigkeit! Da es keine Kühlschränke zur Lagerung verderblicher Lebensmittel gab, mussten die Menschen einen Teil ihrer Lebensmittel in ihrer Nähe anbauen.
Dies wurde im 19. Jahrhundert in schnell wachsenden Städten wie Paris, aber auch in den sich zwangsläufig selbst versorgenden kommunistischen Staaten des 20. Jahrhunderts wie Ostdeutschland oder Kuba immer wichtiger. Das 3. und 4. Arrondissement von Paris beispielsweise war früher ein Stadtgarten, in dem etwa 8500 Personen auf 1/6 der Fläche von Paris Obst und Gemüse für den Eigenbedarf anbauten. (1)
In Kriegszeiten wurde die Stadtbevölkerung von den staatlichen Behörden sogar dazu ermutigt, Nahrungsmittel bei sich zu Hause oder in öffentlichen Parks anzubauen.
“Victory Gardens”, wie sie von Washington Carver genannt wurden, waren in den USA, Großbritannien, Kanada, Australien und Deutschland während beider Weltkriege beliebt. Sie wurden zusammen mit Lebensmittelmarken verwendet, um den Druck auf die öffentliche Lebensmittelversorgung zu verringern. Neben der indirekten Unterstützung der Kriegsanstrengungen dienten diese Gärten auch der Förderung der bürgerlichen Moral. Auf diese Weise fühlten sich die Gärtner durch ihren Beitrag zur Arbeit gestärkt und erhielten als Belohnung ihre eigenen selbst angebauten Produkte. (2)
Das kommunistische Erbe
Nach dem Zweiten Weltkrieg waren Importe aus anderen Ländern in den neu entstandenen kommunistischen Staaten stark eingeschränkt. Daher war es für sie besonders wichtig, möglichst viele Nahrungsmittel innerhalb der Landesgrenzen anzubauen.
In Ostdeutschland sind die so genannten “Schrebergärten”, auch ein Erbe des Kommunismus, nach wie vor sehr beliebt. Hier besitzen viele Stadtbewohner einen Kleingarten in der Stadt, meist mit einem Gartenhäuschen, wo sie ihr Obst und Gemüse anbauen und entspannen können.
In Moskau und St. Petersburg, beides Städte, die zeitweise Schwierigkeiten haben, ihre Bevölkerung ausreichend mit Lebensmitteln zu versorgen, bauen 50 – 65 % der Bevölkerung einen Teil ihrer Lebensmittel selbst an. (3)
Kuba ist ein außergewöhnliches Beispiel: zu kommunistischen Zeiten exportierte es Zucker zu hohen Preisen in die Sowjetunion, ihrem wichtigsten Handelspartner. Damit konnte Kuba den Import von 2/3 seiner Nahrungsmittel und von Öl für landwirtschaftliche Maschinen finanzieren. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion musste Kuba plötzlich sein Nahrungsmittelsystem umkrempeln. Es stellte von großen, Benzin- und Maschinen-abhängigen landwirtschaftlichen Betrieben, auf Kleingärten an den Stadträndern, sogenannte “Organopónicos”, um. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts stammten 90% der auf den Märkten von Havanna verkauften Lebensmitteln aus solchen “Organopónicos”. (4)
Moderne Stadtgärtner
Viele Menschen, die heute in Städten leben, wissen nicht, wie Lebensmittel angebaut werden und woher sie tatsächlich kommen. Die Landwirtschaft findet irgendwo weit weg von ihnen statt. Und da alles immer in ausreichender Menge und zu niedrigen Preisen erhältlich ist, scheint es keinen großen Bedarf zu geben, Fragen zur Landwirtschaft zu stellen.
Aber die Dinge ändern sich langsam.
In unserer modernen Welt interessieren sich immer mehr Menschen dafür, wo und wie ihre Lebensmittel angebaut werden. Nicht nur, dass sie immer mehr Fragen stellen, sondern sie legen vermehrt auch selber Hand an. Urban Gardening, oder der Anbau von Lebensmitteln in der Stadt, ist eine Trendbewegung. Es ist auch eine sehr nachhaltige Art des Anbaus, da die Transportwege und damit auch die Treibhausgasemissionen deutlich reduziert werden.
Und es gibt noch immer ein enormes Potenzial in unseren Städten! Jeder brachliegende Streifen, jeder winzige Balkon, jeder Rasen kann in einen üppigen Garten verwandelt werden, in dem gesunde, frische Lebensmittel direkt vor der Haustür wachsen!
Die essbare Stadt
Ein Beispiel für eine Stadt, in der dies hervorragend funktioniert hat, ist Andernach in Deutschland. Andernach, das den Spitznamen “Essbare Stadt” trägt, hat seine gesamten Grünflächen in Gärten verwandelt, in denen jeder das dort angebaute Obst und Gemüse probieren kann.
Seit 2010 kümmern sich Langzeitarbeitslose zusammen mit professionellen Gärtnern um die über die Stadt verstreuten Gärten. Sogar einige Schafe und Hühner finden sich an den Stadtmauern! Und ein nahe gelegener Weinberg und ein Permakultur-Garten laden Andernacher Bürger und Besucher ein, sich auszuruhen und die Früchte zu genießen.
Neben pädagogischen Aktivitäten für Schüler bietet die Gemeinde auch geführte Stadtrundgänge durch die erste Essbare Stadt Deutschlands an. Bei jedem Schritt ist man eingeladen, einige der Hunderte von Pflanzensorten, die in der ganzen Stadt angebaut werden, zu sehen, zu riechen und zu schmecken! (5)
Mein Urban Gardening Projekt
Diese Geschichten haben auch meine Begeisterung geweckt. Da ich in der Stadt, in der ich wohne, kein Grundstück besitze, habe ich bei meinem Vermieter um Erlaubnis gebeten, ein kleines Beet im Innenhof zu bepflanzen. Mein Vermieter lehnte meine erste Anfrage ab. Erst nachdem ich ein zweites Mal nachfragte, erhielt ich, wenn auch nach 3 Monaten, meine Erlaubnis.
Foto von Naomi Bosch
Manchmal muss man hartnäckig sein und mehrmals nachfragen. Doch Vermieter haben normalerweise keine überzeugenden Argumente gegen die Nutzung von brachliegenden Flächen in der Stadt.
Und die Vorteile des Urban Gardening sind eindeutig überzeugend: schöne, produktive Grünflächen, die unsere ständig wachsenden Städte mit frischen Produkten versorgen und sie in grüne Oasen für Menschen, Bienen und andere Tiere verwandeln.
Und in der Tat gibt es keine köstlichere Mahlzeit als die, die aus selbst angebautem Obst und Gemüse zubereitet wird! Man muss es einfach selbst ausprobieren…
Könnte Urban Gardening die nächste Revolution in deiner Stadt sein? Hast du schon mal Erfahrungen damit gesammelt?
1 Jennifer Cockrall-King: Food and the City – Urban Agriculture and the New Food Revolution, p. 82-83 2 https://en.wikipedia.org/wiki/Victory_garden 3 Jennifer Cockrall-King: Food and the City – Urban Agriculture and the New Food Revolution, p. 107 4 Jennifer Cockrall-King: Food and the City – Urban Agriculture and the New Food Revolution, p. 285-286 5 https://www.andernach.de/de/leben_in_andernach/es_startseite.html