Solidarische Landwirtschaft – Das Zukunftsmodell?

Landwirtschaft der anderen Art

Stelle Dir folgende Szenen vor:

Es ist ein kalter Novembermorgen in Norddeutschland. Die Sonne ist kaum aufgegangen. In der Ferne bedeckt Nebel die flachen, endlosen Felder rund um den Hof. Leicht frierend steige ich aus dem Auto aus, ziehe eine zusätzliche Jacke an und laufe zum Rote-Beete-Feld in der Nähe des Hauses. Wir sind an diesem Morgen fünf Mitarbeiter. Als ich und meine Kommilitonin auf die anderen, die bereits am Feld warten, zugehen, reicht uns unsere Chefin Suse wortlos einige Arbeitshandschuhe. Sie gibt uns die notwendigen Anweisungen, und wir beginnen mit unserer Aufgabe: der Ernte. Die Rote Beete wird zusammen mit Kohl, Kartoffeln und Kürbissen einen guten Vorrat an Wintergemüse bilden. In den nächsten Stunden ernten wir etwa 1 Tonne Rote Beete, alles in Handarbeit.

Rote Beete – ein wunderbares Wintergemüse. Foto von Monika Grabowska

Später kommen wir in die völlig chaotische, aber gemütliche Küche, um gemeinsam zu Mittag zu essen. Bei der gemeinsamen warmen Mahlzeit lerne ich Suse als eine warmherzige und freundliche Frau kennen. Die bunte Runde um den Tisch hat auch allerhand spannende Gesprächsthemen. Nach dem Essen geht es weiter mit der Arbeit. 

Und dann der Winter

Dann ist es Februar. Wir sind gerade auf dem Kohlfeld zur Ernte, als es plötzlich zu schneien beginnt. Was für ein magischer Moment! Die mühsame Arbeit, sich mit einem Messer zu bücken, um die Kohlköpfe abzuschneiden, sie in Gemüsekisten zu legen und sie zum Anhänger zu tragen, der am Feld steht, ist plötzlich vergessen. Wir stehen einfach da und bestaunen die schönen, dicken, weißen Schneeflocken die wie leichte, tanzende Watte auf die Erde fällt. Uns ist nicht kalt, denn die Arbeit hält uns warm und die Schönheit, die uns umgibt, heitert uns auf.

Aber die nächste schöne Überraschung kommt bereits zur Mittagszeit. Unser Chef hatte beschlossen, für uns Pfannkuchen zu machen! Wer liebt es nicht, dieses einfache, aber köstliche Essen? Aber glaube mir, nach einem Vormittag anstrengender körperlicher Arbeit an der frischen, kalten Luft schmecken Pfannkuchen noch hundertmal besser als sonst!

Üppiger Frühling

Und dann der Anblick des Bauernhofs, wenn wir im April und Mai zur Arbeit kommen! Üppige, grüne Büsche zieren die Wege zum Hof, blühende Sträucher klettern an den Hauswänden empor, und aromatische Kräuter wachsen auf Schritt und Tritt. Der Bauernhof scheint sich in eine ganz neue Welt zu verwandeln. Der Frühling und dann der Sommer erwarten uns mit warmen, sonnengefüllten Tagen. Später im Sommer tragen die Bäume bereits kleine Äpfel, während die Johannisbeersträucher darauf warten, abgeerntet und genossen zu werden.

Harte Arbeit und magische Jahreszeiten

Ich habe ein ganzes Jahr lang auf diesem Hof gearbeitet, und somit den Wechsel der Jahreszeiten gesehen, gefühlt, geschmeckt und verstanden. Aber noch wichtiger ist, dass ich die Arbeit auf dem Bauernhof und die Menschen, die auf dem Hof leben und arbeiten, kennengelernt habe.

Die Arbeit auf einem Bauernhof ist nicht immer voller angenehmer Erfahrungen und romantischer Anblicke der Natur. In erster Linie ist es harte, körperliche Arbeit. Aufgaben müssen erledigt werden, unabhängig von der Laune und den Umständen. Das Wetter diktiert den Tagesablauf und macht detaillierte Planung unmöglich. Es ist verantwortlich für eine reiche Ernte in einem Jahr und eine schlechte im nächsten Jahr.

Als Landwirt braucht man viel Hingabe und Liebe für die Arbeit auf einem landwirtschaftlichen Betrieb. Oftmals bedeutet es wenig Zeit für Ferien. Besonders wenn Tiere auf dem Hof sind, gibt es immer etwas zu tun. Man kann Tiere nicht einmal für einen einzigen Tag allein lassen, ob Wochenende oder nicht!

Zu den umweltschonenden landwirtschaftlichen Methoden gehört die manuelle oder mechanische Unkrautbekämpfung anstelle des Einsatzes von Herbiziden. Aber die Vorteile zeigen sich in einer zunehmenden Artenvielfalt auf dem Bauernhof. Foto von Naomi Bosch

Was ist Solidarische Landwirtschaft?

Aber der Kastanienhof ist in gewisser Weise etwas Besonderes. Er ist nicht nur ein Biobetrieb, sondern auch als sogenannte Solidarische Landwirtschaft (Solawi) organisiert. Das bedeutet, dass der Betrieb eine bestimmte Anzahl von “Ernteanteilen” anbietet. Wenn man Teil des Netzwerks werden möchte, wird man für die kommende Saison Mitglied und zahlt einen monatlichen Mitgliedsbeitrag. Im Gegenzug erhält man wöchentlich einen Ernteanteil mit frischem, saisonalem Gemüse. Die Saison dauert in der Regel von April bis März des folgenden Jahres (zumindest auf der Nordhalbkugel).

Arbeit auf der Kastanienhof. Foto von Naomi Bosch

Indem er nur für seine Mitglieder Lebensmittel produziert und jeden Monat einen festen Geldbetrag erhält, kann der Landwirt sein Budget und sein Anbauprogramm besser planen. Das bedeutet, dass das Risiko zwischen dem Landwirt und seinen Mitgliedern aufgeteilt wird, unabhängig vom Wetter und dem saisonalen Ertrag.

Der Nutzen für die Verbraucher besteht darin, dass sie ihren Landwirt und die Herkunft ihrer Lebensmittel sehr gut kennenlernen. Zwischen den Mitgliedern dieses Netzwerks entsteht ein Gemeinschaftsgefühl. Zumal es viele Gelegenheiten gibt, bei denen die Mitglieder zu Besuch kommen oder auf dem Bauernhof arbeiten können, so wie ich es oft getan habe. Darüber hinaus gibt es zwei jährliche Treffen, auf denen über Neuigkeiten auf dem Bauernhof diskutiert wird, das Jahresbudget vorgestellt wird, Vorschläge gemacht werden können und sogar “Gemüse-Präferenzen” ausgesprochen werden können!

Für die Bauern bedeutet dies, dass sie mit ihrer Familie auch mal in den Urlaub fahren können. Im Gegensatz zu vielen anderen landwirtschaftlichen Betrieben können Solawi-Betriebe, dank ihres stabilen Einkommens, ihre Arbeitskräfte das ganze Jahr auf dem Bauernhof beschäftigen. Auf anderen Betrieben ist es oft üblich, nur Saisonarbeitskräfte einzustellen.

Eine lange Tradition

Solidarische Landwirtschaft ist in mehr oder weniger gleicher Form überall auf der Welt zu finden. Einige bauen nur Gemüse an, andere arbeiten mit anderen landwirtschaftlichen Betrieben zusammen und produzieren alles von Brot über Obst und Gemüse bis hin zu Käse und Fleisch. Die frühesten Formen der Solawi entstanden bereits in den 1980er Jahren in Japan! Dieses System hat definitiv viele Vorteile, sowohl für den Verbraucher als auch für den Produzenten.

Ich persönlich habe es geliebt, Teil dieser Gemeinschaft zu sein. Es war eine unglaublich interessante Erfahrung, aber nach einem Jahr musste ich aufhören. Der Hauptgrund waren meine langen Abwesenheitszeiten aus der Stadt, da meine Familie in einem anderen Land lebt. Aber sobald ich mich in einer Stadt niederlasse, in deren Nähe sich Solidarische Landwirtschaft befindet, werde ich mich ihr wieder anschließen! (Oder ich beginne meine eigene, wenn es dort noch keine gibt – wer weiß…)

Zugegeben, der Geschmack des frischen, saisonalen Gemüses vom Kastanienhof kann unmöglich übertroffen werden… Und nicht darüber nachdenken zu müssen, was man für die Woche kaufen und kochen soll, war für mich sehr angenehm. Tomaten im Winter oder der Kürbis im Sommer haben mir nie gefehlt. Stattdessen freute ich mich immer schon sehr auf die frischen Karotten, die es im Herbst nach einer langen Sommerpause wieder gab, oder auf den ersten Salat des Jahres! Und dann diese unglaubliche Vielfalt an Gemüse auf dem Bauernhof… Ich lernte Gemüsesorten kennen, von denen ich vorher nicht einmal wusste, dass es sie überhaupt gibt!

Wenn man Teil einer Solawi ist, kann man viele verschiedene Arten von saisonalen, lokalen Lebensmitteln ausprobieren. Foto von Pexels

Solidarische Landwirtschaft: Der Systemwandel, den wir brauchen?

Könnte Solidarische Landwirtschaft das Landwirtschaftsmodell der Zukunft sein? Es ist sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung, da sie der Landwirtschaft und Ernährung einen würdevollen Stellenwert einräumt. Sie verbindet Landwirte und Verbraucher wie keine andere Form der Landwirtschaft es kann.

Aus ökologischer Sicht sind die lokale Produktionsweise und die kurzen Transportwege ein wichtiges Argument für die Solidarische Landwirtschaft. Darüber hinaus versorgt sie Menschen mit saisonalen, lokal angebauten, ökologischen Lebensmitteln.

Da so viele Bauern kaum von den Preisen leben können, die sie für ihre Produkte bekommen, könnte dies genau der Systemwandel sein, den wir so dringend brauchen.

Am Ende werden die individuellen finanziellen und praktischen Möglichkeiten und die Bereitschaft der Verbraucher, etwas Neues zu wagen, entscheiden. Möchtest Du es auch wagen?


Falls Du neugierig geworden bist, kannst Du hier eine Solidarische Landwirtschaft in Deiner Nähe finden:

https://www.solidarische-landwirtschaft.org/startseite/


Gibt es in Deiner Nähe eine Solidarische Landwirtschaft? Glaubst Du, dass dies das Landwirtschaftsmodell der Zukunft sein könnte? Lass es mich in den Kommentaren wissen!

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